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Sobald wir angekommen sind. Von Micha Lewinsky.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Auch ein Büchercheck darf einmal mit einer Platitüde beginnen. «Wie der Vater, so der Sohn» denkt der Verehrer des Zürcher Tausendsassas Charles Lewinsky, wenn er sich auf den neuesten Roman dessen Sprösslings Micha einlässt. Derselbe trockene Humor, eine ähnlich ausgeprägte Gabe zur Beobachtung und Schilderung alltäglicher Freuden und Peinlichkeiten in einer nicht besonders religiösen jüdischen Durchschnittsfamilie, vergleichbare Sicherheit beim Setzen mehr oder weniger überraschender Pointen: Vieles kommt einem vertraut vor, ohne dass dem Junior das Werk zu einem reinen Imitat väterlichen Schaffens geriete.

«Sobald wir angekommen sind» handelt von der überstürzten Flucht des Zürcher Juden Ben Oppenheim vor dem Atomkrieg, auf den er sich seit Jahren innerlich vorbereitet und den er mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine unmittelbar bevorstehen sieht. Mit seiner von ihm getrennt lebenden Gattin und den beiden Kindern fliegt der erfolglose Schriftsteller und wenig beschäftigte Drehbuchautor Hals über Kopf nach Brasilien. Zwar lässt der Nuklearangriff auf sich warten, dafür nähern sich Ben aber und seine Frau einander auf eine Weise wieder an, die lange nach einem Neubeginn der ehelichen Gemeinschaft aussieht. Wäre da nur nicht die in der Schweiz gebliebene Geliebte, die den ewigen Zauderer immer wieder zwischen der Geborgenheit in der Familie und der Sehnsucht nach sexueller Erfüllung hin- und herschwanken lässt.

Nach 290 Seiten bestens unterhaltendem Hin und Her zwischen Liebe und Sex, Vernunft und Sehnsucht, Ratio und Emotionen, Wunschträumen und Finanzproblemen mündet die Geschichte ins vorhersehbare Finale: Der Atomangriff ist abgesagt und die vernünftige Gattin organisiert den Rückflug und das Geld dafür. Ben aber macht Stunden vor dem Abflug endlich den Besuch in Petropolis, wohin sein ebenfalls nach Brasilien ausgewandertes Idol Stefan Zweig damals ausgewandert ist. Und kehrt von dort enttäuscht und ernüchtert, aber letztlich mit seinem Schicksal versöhnt in den europäischen Alltag zurück. Ein grosses Lesevergnügen!

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