Lange – im Nachhinein muss ich sagen: zu lange – habe ich diesen Titel auf der Suche nach neuem Lesestoff überblättert. Erstens verhiessen die Rezensionen Einblicke einer Frau in die Frauenschicksale, was nicht a priori zu meinen bevorzugten Themenfeldern gehört. Und zweitens prangte auf dem Cover die rote Bauchbinde «Spiegel-Bestsellerliste» - ein Hinweis, der mich in letzter Zeit mehr als einmal in die Irre geführt hat (vgl. die Bücherchecks von «Krass» und «Miss Merkel»). Als ich schliesslich doch den «Download»-Knopf drückte und mich auf dieses Werk einliess, entpuppte es sich als das bisher lohnendste Lese-Erlebnis des Jahres.
Die Schriftstellerin Bernardine Evaristo ist als dunkelhäutiges Kind einer englischen Grundschullehrerin und eines nigerianischen Schweissers in England aufgewachsen. Entsprechend authentisch verknüpft sie nun die Porträts und Schicksale von farbigen «Mädchen, Frauen etc.» unterschiedlichen Alters und sexueller Ausrichtung mit Rückblenden und Entwicklungen rund um das dreifache Handicap «Frau», «nicht-weiss» und «sexuell nicht der Norm entsprechend» in verschiedenen Epochen, Kulturen und Ländern. Und das tut sie in einem wunderbar schnoddrigen Stil, der sich um gewohnte formale Vorgaben von Interpunktion, Satzstellungen oder Umbrüchen auf mitreissende Art und Weise hinwegsetzt.
So wird Evaristos erfrischend geschriebener und von Tanja Handels ebenso originell übersetzter 500-Seiten-Wälzer zum ungetrübten Lesevergnügen, das durch die gekonnte Verflechtung verschiedenster Handlungsstränge und Familiengeschichten zusätzlich immer wieder neu überrascht und begeistert. Darüber hinaus – das sei zum Schluss eingestanden - - gibt er auch «alten weissen Männern» wie dem Checker einiges zu denken. Must read!