Die kürzliche Erweiterung meiner e-Book-Sammlung um den neuesten Roman von Matt Haig war darauf zurückzuführen, dass ich a) angelsächsischen Autoren generell schlecht widerstehen kann und mir b) der Titel «Die Mitternachtsbibliothek» zu einem Büchercheck-Portal zu passen schien. Der britische Journalist und Schriftsteller hat sich gemäss Verlagsmitteilung vor allem im Genre der «spekulativen Fiktion» einen Namen gemacht.
Dort ist denn auch die titelgebende Bibliothek angesiedelt, in welcher die Hauptfigur nach einem halbbatzigen Selbstmordversuch um punkt Mitternacht landet. In den Regalen stösst diese Nora Seed auf endlose Reihen von Büchern, und jedes handelte von einem Leben, das sie auch hätte führen können, wenn sie in richtungsweisenden Momenten andere Entscheidungen getroffen hätte. In einige davon taucht Nora mit Hilfe einer mysteriösen schachspielenden Bibliothekarin für kürzere oder längere Zeit ein. Die hübsche Pointe ist, dass sie bei diesem «Life Hopping» jeweils selber nicht weiss, wer und was sie ist, keine Ahnung hat von ihrem Familienstand, ihrem Beruf, ihrem sozialen Status und anderen Lebensumständen, während Angehörige, berufliches Umfeld und Freunde sie als langjährigen, selbstverständlichen Bestandteil ihrer eigenen Existenz wahrnehmen. Es ist vor allem dieser Kniff, der ihr die gewählten Leben schwer macht, für jede Menge Situationskomik sorgt und die Lektüre des alles andere als suizidal-schwermütigen Romans zum Vergnügen macht.
Nachdem sie auf diese Weise Dutzende von Lebensabschnitten ausprobiert hat und sich wieder rausgebeamt hat, weil ihr doch keines so richtig gefallen wollte, entscheidet sich die Heldin schliesslich dafür, ihr bisheriges Schicksal wieder in die Hände zu nehmen. Und kehrt eine Sekunde nach Mitternacht zurück in jenes Leben, das sie sich hatte nehmen wollte. Bereichert um die Erfahrungen der getesteten Alternativen und die Erkenntnis, dass sich auch das Dasein, an dem sie zu verzweifeln drohte, ins Positive drehen lässt.