Ferien im Süden sind ja im Sommer 2022 Jahr für Mitteleuropäer*innen nicht problemfrei zu haben. Abgesagte Flüge, Chaos an den Flughäfen, verstopfte Autobahnen, überlastete Züge, Hitzewellen und Waldbrände haben vielen Sonnenhungrigen den Aufenthalt im Süden vergällt. Ich hatte Glück und kam in den Genuss von vierzehn heiteren und rundum störungsfreien Tagen nahe der Parfumstadt Grasse im Hinterland der Côte d’Azur.
Für die Lesestunden am Pool hatte ich wie gewohnt Bücher mit Lokalkolorit mitgenommen. (Vor zwei Jahren in Gordes verschafften mir die köstlichen Reminiszenzen eines dort niedergelassenen Briten* heiterste Einblicke in die Eigenheiten der Provence und ihrer Bewohnern.) Aufgrund der gefundenen Kurzzusammenfassungen («Sinnlich und spannend!» «Der perfekte Sommerroman!») fiel meine Wahl heuer auf Francesca Reeces Roman «Ein französischer Sommer». Und das Werk erfüllte meine – nicht allzu hohen - Erwartungen vollauf.
Es geht um eine junge Frau, die von einem alternden Zweitklass-Künstler engagiert wird, um einen Sommer lang seiine Tagebücher zu sichten und zu ordnen. Mit fortschreitender Arbeit stellt sich heraus, dass sie dieses Engagement nur ihrer Ähnlichkeit mit einer nie vergessenen Liebe ihres Auftraggebers verdankt. Dieser Haupthandlungsstrang wird nun über fast 500 Seiten verschwenderisch garniert mit allem, was in der Vorstellung des Durchschnittslesers einen Sommer zwischen Saint Tropez und Marseille unter Schönen, Reichen und ganz schön Reichen ausmacht: Tolle Villa, permanente An- und Abreisen von geladenen und nicht geladenen Gästen, endlos-opulente Buffets auf Steintischen im Freien unter Olivenbäumen, freizügiger Umgang mit Alkohol, Sex und härteren Drogen sowie wechselnde Liebschaften, Eifersuchtsdramen und Beziehungsbrüche. Und alles natürlich unter der sengenden und manches Hirn erweichenden Sonne des Midi.
Fazit: Wer heuer um seinen Südfrankreich-Urlaub gebracht wurde, erhält hier für sein Geld ein durchaus wirksames Generikum.
* Peter Mayle, «Mein Jahr in der Provence»