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Senor Herreras blühende Intuition. Von Linus Reichlin.

Ein Buch gefunden, welches man nach 27 Seiten weglegt - oder in einem Zug durchliest.

An Linus Reichlin scheiden sich die Geister. Er polarisiert,  wenn er «Unten durch» für die «Weltwoche» schreibt, er polarisierte als Verfasser von Kolumnen für die Basler Zeitung, er polarisiert als Verfasser von skurrilen Romanen wie «Keiths Probleme im Jenseits». Wann immer der mittlerweile 63-jährige Aarauer in die Tasten greift, resultiert Überraschendes und Unerwartetes; die Grenze, welche die hintergründige Fantasie des 63-jährigen Wahlberliners nicht genüsslich ausreizte, ist noch nicht gezogen.  

So auch in Reichlins jüngstem Werk «Senor Herreras blühende Intuition». Der Ich-Erzähler Renz, von dem man nur vermuten kann, wieviel seiner bizarren Erlebnisse als Schriftsteller aus dem Leben seines Schöpfers gegriffen sind, zieht sich zur Burn-Out-Prävention und für Recherchen zu einem neuen Roman in ein mysterienumwittertes andalusisches Frauenkloster zurück, wo vier alte Klosterfrauen von einem ausgemusterten Stierkämpfer betreut und bekocht werden.

Diesem Herrera gelingt es, den Pensionär nicht nur mit vollkommen ungeniessbaren andalusischen Spezialitäten an den Rand des Hungertods zu treiben (zur nächsten Beiz sind es drei Stunden Fussmarsch); er verunsichert den Schriftsteller auch mit allerlei Scharaden rund um eine geheimnisvolle jüngere Klosterbewohnerin, die sich vor der Entführung durch mafiöse Agenten im Kloster versteckt halten soll. Die Verwirrung ist komplett, als in Gestalt einer deutschen  Landsfrau ein weiterer Retraitegast eincheckt, der nicht nur Namen und Beruf von Renzens Frau, sondern auch die Anzahl und Namen der gemeinsamen Kinder teilt und weitere Merkmale einer verblüffenden Doppelgängerin aufweist.

Keiner spielt das Spiel mit vordergründiger, fast naiver Biederkeit und total verqueren Phantasmagorien so virtuos wie Reichlin. So liest sich auch sein neustes Werk unterhaltsam und spannend, vieles darin löst Verwunderung und Fragen aus, aber kaum etwas wird aufgelöst - auch nicht die Frage, was den Klon von Renzens Gattin in die Abgeschiedenheit des abgewrackten Monasterium geführt hat und welche Rolle sie in der Story spielt. Am Ende bleibt der Reichlin-Fan völlig erkenntnisfrei und ist so klug als wie zuvor, aber er hat sich 270 Seiten lang bestens unterhalten. Oder das Buch nach 27 weggelegt, denn, wie gesagt, Reichlin polarisiert ...

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